Notizen eines Fahrers im Dienste des Rock and Roll

4000 Kilometer unterwegs mit Pele Caster & Band
Von Benedikt Rautenberg

Sie sind hinter dir her. Endgültig, denke ich. In dieser Republik gehört es nun mal zu seinen Pflichten Amts-Briefe zu öffnen und zu beantworten. Zweihundert Kilometer hinter dir wartet auf dich ein achtzehn Monate hoher Stapel Post, blau und vor allem gelb gespickt. Ebenso wartet die Genossenschaft auf drei Monate Miete. Gas und Strom müssten bald abgedreht werden. Internet dürfte es auch nicht mehr geben, wenn du ‚nach Hause‘ kommst. Ich überlege ob mich nur malwieder die übliche, seichte Marihuana-Paranoia plagt oder ob sie wirklich hinter mir her sind.

Der digitale Tacho zeigt gemütliche 120 Stundenkilometer an. „Lass uns doch reden oder so…“, fordert Helene Fischer durch den CD-Spieler von uns. Doch ich kann der heißesten Sau seit der Erfindung Sibiriens grad keine Beachtung schenken. Zwölf Tausend bekommt die KfW, grüble ich weiter. Eins-zwanzig auf Tasche. Irgendwas von Haftbefehl schimmerte kurz vor der Abreise durch einen der neueren Umschläge. Meine Handgelenke fangen an zu jucken.

„Jetzt ´ne heiße Milf mit Honig!“, lacht Pele vom Beifahrersitz herüber. „Oder eine Vanillemilf!“, ruft Steffen von hinten. Infantile Witze gehören zum täglich Seelenheil gestresster Musiker. Pele fängt an im Handschuhfach nach einer neuen CD zu wühlen. Wild auf das Radio eindrückend wirft er meine Helene Fischer Platte raus und füttert das Bose-System mit der ersten Platte Kasabian’s bei heikler Lautstärke.

Vollkommen wehrlos gegenüber dem massiven Klang von „Club Foot“, sinkt mein rechter Fuß Richtung Vollgas. Mach dir nichts vor, denke ich, während der Wagen weiter beschleunigt. Sie sind verdammt noch mal hinter dir her! Ignoranz wäre der falsche Lösungsansatz. Du brauchst einen Reisepass. Oder eine gute Anwältin, die sich nebenbei noch in Körperlichkeiten bezahlen ließe. Doch woher, beim derzeitigen Tempo von 180? Der Bass presst auf mein Brustbein ein. 190 Stundenkilometer. 190! Für ein französisches Auto nicht unrespektabel. 195. Im Augenwinkel bemerke ich Pele, der einem zugekoksten Lemur ähnlich verzweifelt nach Halt sucht. 198. Die Lenkung fängt an zu schwimmen, doch die linke Spur der A2 ist weiterhin frei bis zum dunklen Ost-Horizont. 199. Der Fuß klebt. Sie jagen mich immer noch. Nach 2:40 Minuten voller Club-Foot-Beschleunigung dann: 200. Vollste Konzentration bei Höchstgeschwindigkeit. Die Beine kribbeln. Der Körper streitet sich um die letzten Sauerstoffreserven. Der Kopf ist leer. Du bist schneller als das System und das auch noch im Auftrag des Rock and Roll! Doch wenn man eins vom Porsche-klauenden Baader gelernt haben sollte, dann dass es kein Entkommen gibt. Sie kriegen dich, egal wie schnell du bist.

200 Kilometer später erreichen wir Berlin. „Der Peter ist superlieb! Der macht uns nach dem Konzert eine üppige Brotzeit, das dürfte dir gefallen“, erzählt Pele über das Valentinstüberl. „Was ist das denn so für ein Laden?“, frage ich. „Der Laden ist zwar klein, aber sehr schön. Bayrisches Bier gibt’s da. Der Peter ist ja aus Bayern. Spricht auch die ganze Zeit bayrisch. Ganz schön mutig in Berlin. Tarantino hat da mal Sylvester gefeiert!“

Eine gute Clubauswahl hat Pele da getroffen. Erst Plauen, wo Rio Reiser 1996 sein letztes Konzert gab und jetzt geht’s in eine Kneipe in der Tarantino mal eine Nacht durchgebracht hat. Ob es für den wohl auch Freibier gab? Oder Brotzeit? Bei der horrenden Anzahl von Nazisgrößen die er hat killen lassen, nicht unwahrscheinlich. Aber Wasimmer. Auch Pele hat Sorgen wegen finanziellen Kleinigkeiten. Eine neue Platte muss an den Start. Spätestens im nächsten Jahr. Die größte Frage wirft also wie immer die Gästesituation auf. Wird es so leer wie bisher? Was ist mit dem Sound? Oder dem Licht? Vergangene Auftritte kennzeichneten sich durch eine Faustregel: Entweder die Location ist perfekt und die Gästezahl überschaubar oder es läuft genau anders herum. Heute Abend, am vorletzten Abend der Tour soll sich jene Faustregel jedoch nicht behaupten. Alles passt. Im ‚Hinterstüberl‘ wird’s eng. Ein kleiner, feiner Gig, bei dem alles so ist, wie es sein sollte. Der Sound überzeugt. Bier & Obstler erscheinen beinahe automatisch. Die Gäste sind zahlreich und gut gelaunt. Die Band kann nun endlich ihre Euphorie mit jemand teilen. 90 Minuten voll von feinster, emotionaler, durchdringender Musik.

Die angekündigte Brotzeit überrascht ebenfalls. Bretzeln, Graubrot, Bockwürstchen, Kraut-, Fleisch- und Möhrensalat an Bierbank serviert und durch Kerzenlicht in Szene gesetzt. So gut und festlich hatte ich bei dieser Tour noch nicht gegessen. Wobei die Plauener Schweinemedallions schon schwer zu toppen waren. Eine Weile später dann frisch angezapftes Wiesn‘-Bier. Nach drei bis vier Gläsern, so verspricht mir Peter, soll es angeblich einen psychedelischen Beigeschmack entwickeln. Leider schaffe ich grade mal eins, bevor die Musiker schlafen wollen. Schnell rolle ich noch einen Joint, rauche etwas mit Peter und überlasse ihm den verdienten Rest.

Marihuana sollte sowohl als Droge, als auch als Zahlungsmittel bundesweit akzeptiert werden. Alles andere ist realitätsfremd. Wir verabschieden uns herzlich. Dann stolpere ich raus zu den anderen auf die Donaustraße. Während Pele und Steffen in einem Atelier um die Ecke absteigen, torkeln Ben & ich fröhlich und fickerig über die Sonnenallee, immer der lieben Sabi hinterher. Zu dritt in einem Neuköllner Zimmer schläft man übrigens bei offenem Fenster und einer bis zum Anschlag aufgedrehten Heizung. Der Bassist bekommt die Frau – zumindest den Platz im Bett neben ihr – der Fahrer das Sofa. Das Sorgenbarometer dümpelt gen null, hier in Babylon.

In Sachen Frauen hatte ich die Hoffnung eh schon in Würzburg verloren. Als Fahrer und Fotograf ist man ohnehin unausgeruht, angenehm überarbeitet & verkatert. Da kann es schon mal passieren, dass man eine Redakteurin einer überregionalen Erz-katholischen Tageszeitung, die einem leidenden Glaubensgenossen den Zugang zu ihren wärmenden Schenkeln verwehrt, auf dem Gehsteig des nächtlichen Friedrich-Ebert-Rings aus Wut und mittlerer Distanz anfurzt. Frauen, die kein Interesse an Sex mit Fremden haben, sollten nach einem Konzert nicht alleine an der Theke rumhängen und möglichst auf nächtliche Städteführungen verzichten. Ab nach Hause mit euch! Die Katze wartet! Und außerdem geht spätestens morgen früh um neun die Karriere weiter.

Düsseldorf, Würzburg, Mannheim, Hannover, Hamburg, Oberhausen, Berlin, Magdeburg. Insgesamt 3115 Kilometer. Inklusive Plauen 4055 Kilometer. 276,2 Liter Super-Benzin fraß der napoleonische Nachfolger. Ohne Gastgeber und Techniker, kamen ins Blaue gerechnet gut und gerne 165 Gäste zu den Auftritten. Ohne die gelegentliche Großherzigkeit der Veranstalter in Form von Fest-Gage, wäre Pele der finanzielle Holocaust nicht erspart geblieben. Im Großen und Ganzen war es keine Tour im herkömmlichen Sinne. Es war Peles Statement zur Daseinsberechtigung als Musiker in einem Land unter Leistungs- und Erfolgsdruck. Frei nach dem Kassierer-Motto:„Wenn du immer und immer wieder auftrittst, halten es die Leute irgendwann für normal. Die Leute denken dann: Das muss so sein, da muss ich hin.“ Es war eine Flucht nach vorn. Ein instinktiv ausgelöster Reflex, für den Fall, dass man mit dem Rücken tatsächlich knallhart an der Wand steht. Es gibt nicht mehr viel zu verlieren, wenn das Hauptzollamt schon mal auf einen Kaffee zu Besuch kam. Sie sind eh hinter dir her. Also warum nicht? Warum nicht eine komplette Risikotour anzetteln? Übernachtung und Verpflegung überwiegend inklusive. Strom für die Röhren gibt es in jeder Stadt. Licht, ein paar Mikros, Alkohol und gute Menschen genauso. Was soll’s? In dieser angsterfüllten Republik sollte man ohnehin jede unüberwachte Sekunde darauf verpfänden nicht Teil des Systems zu sein! Also her mit dem Benzin! Und macht die linke Spur frei! Macht sie frei für eine Philosophie die nie aussterben wird. Live what you love! Sie kriegen dich eh, egal wie schlau, wie laut oder wie schnell du bist. Ob du willst oder nicht. Also scheiß drauf.

Ein Kommentar

  1. danke für die 4000 km tourtagebuch – so weit und doch so nah 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.